
POSITIVER DRUCK AUS DER GESELLSCHAFT
In Deutschland ist der Begriff „Green Pressure“ das Zukunftswort des Jahres 2020. Kein Wunder, denn immer mehr Menschen in den Industrienationen wollen nach ökologischen Aspekten leben, konsumieren bewusster und hinterfragen ernsthaft die Herstellung von Produkten. Dafür gehen sie sogar auf die Straße. Dieser Druck zum Wandel wird in der EU auch von der Politik forciert, die an den Pariser Klimazielen festhält. Mit der Umsetzung des Green Deals werden Unternehmen künftig schärferen Auflagen gegenüberstehen. So wird ökologisches Handeln zum Standard und zur täglichen Routine vielen Branchen. Der Prozess ist in vollem Gange.
Jugendliche schwänzen an Freitagen die Schule und ziehen mit Plakaten durch die Innenstädte. Junge Eltern der Generation Y hinterfragen Konsum und Ernährung zum Wohle ihrer Kinder. Und die kaufkräftige Zielgruppe ab einem Lebensalter von etwa 50 Jahren, die so genannten Best Ager, betreiben Klimaschutz auf zwei Rädern – das E-Bike macht es möglich.
Das sind nur einige Beispiele, die zeigen: Klimaschutz ist zumindest gedanklich in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen. Das „5 vor 12“-Gefühl ist allgegenwärtig. Es entspricht dem Zeitgeist, etwas für das Klima tun zu wollen. Ob den Worten auch Taten folgen, hängt aber oft vom Bildungsstand und vor allem vom Einkommen ab.
Diese Entwicklung ist in den Unternehmen längst angekommen, nicht erst seit den Protesten von „Fridays for Future“ – bei jungen Start-ups und auch bei etablierten Unternehmen. Das zeigen auch Daten des DIHK, des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, des Branchenverbandes einer wichtigen Säule der deutschen Wirtschaft, des Mittelstandes.

Das „5 vor 12“-Gefühl
ist allgegenwärtig.
Keine Wende ohne Investitionen
Ohne die Investitionen einer Vielzahl von Unternehmen gebe es keine Energiewende, so die Ansicht des Verbandes. Die jährlich erhobenen Daten des Energiewendebarometers zeigen, dass deutsche Firmen etwa in PV- oder KWK-Eigenerzeugung investieren sowie Stromspeicher und E-Fahrzeuge anschaffen.
Dabei sind die Gründe und die Motivation, warum sich Unternehmen zu mehr Nachhaltigkeit entscheiden, so unterschiedlich wie die Unternehmen selbst. Deutlicher Taktgeber ist die Klimapolitik der Europäischen Union.
Als Ursula von der Leyen an die Spitze der EU-Kommission trat, setzte sie den Klimaschutz als ihr erstes großes Projekt auf die Agenda. Mit dem „European Green Deal“, den sie Ende 2019 der Öffentlichkeit vorstellte, will sie die europäischen Volkswirtschaften in den kommenden 30 Jahren umkrempeln und unabhängig von fossilen Brennstoffen machen. Bis 2050 sollen alle Mitgliedstaaten der Union klimaneutral wirtschaften, also netto keine Treibhausgase mehr in die Atmosphäre ausstoßen. Laut EU-Kommission sind jährlich 260 Milliarden Euro für zusätzliche Investitionen nötig. Verschiedene Experten und auch die Medien lobten von der Leyens engagierten Masterplan, der im Herbst 2020 in europäisches Recht gegossen werden soll – warnten aber auch vor Aufweichungen.
Green Deal gibt den Takt an
Aber die Richtung ist eindeutig. Dieses Signal ist auch in der Wirtschaft angekommen. „Die Unternehmen sind sich aber bewusst, dass es keine grundlegende Abweichung von dieser Richtung geben wird“, erklärt Julian Schorpp, der für den DIHK in Brüssel arbeitet. Er leitet dort das Referat Europäische Energie- und Klimapolitik, kennt einerseits die Sorgen und Nöte der Unternehmen, andererseits ebenso gut die politischen Rahmenbedingungen der EU mit Blick auf die Klimaziele. Klar sei aber auch die Planungssicherheit für Unternehmen und dass sich ein Investment in Klimaschutz langfristig lohnen müsse.
Es gebe gute Ideen von mittelständischen Unternehmen, manche würden derzeit aber noch regulatorisch behindert. Ein Beispiel sei die Nutzung von gemeinschaftlich erzeugtem Strom aus Photovoltaik. „Wie hören von unseren Mitgliedern, dass sie in Industriegebieten Synergien von gemeinsamen PV-Anlagen nutzen möchten“, erklärt Schorpp. Durch aktuell geltendes Recht – verankert in der so genannten „Personenidentität“ im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) – werde eine gemeinschaftliche Nutzung von PV-Strom derzeit quasi verhindert. Demnach dürfen Unternehmen den Sonnenstrom ohne Abgaben und Umlagen nur dann selbst verbrauchen, wenn er aus einer eigenbetriebenen Anlage stammt. Das Beispiel zeige, dass das Thema Klimaschutz längst im unternehmerischen Alltag angekommen sei, da ist sich Schorpp sicher. Es müsse aber auch einfach umsetzbar sein. Der DIHK hofft, dass diese Fehlleitungen bei der nächsten Gesetzesänderung, korrigiert werden.
„Wie hören von unseren Mitgliedern, dass sie in Industriegebieten Synergien von gemeinsamen PV-Anlagen möchten.“

Schub für Investitionen durch den Finanzsektor
Um die Ziele aus dem Pariser Klimaschutzabkommen zu erreichen, könnte auch der Finanzsektor als Geldgeber für Unternehmen eine entscheidende Rolle spielen. So sieht es jedenfalls der Fondsmanager Sasja Beslik, der bei der Bank J. Safra Sarasin in der Schweiz den Bereich nachhaltiges Investment leitet. Die Finanzbranche habe wegen der Nachfrage der Kunden und wegen der Vorgaben aus der Politik gar keine andere Wahl, als so genannte „grüne Finanzprodukte“ zu entwickeln, oder man werde „aus dem Geschäft“ sein. Hiermit könnten Unternehmen künftig mehr Finanzierungsmöglichkeiten für nachhaltige Investitionen zur Verfügung stehen.
Wandel im Konsumverhalten erzeugt Druck
Die Politik greift lenkend ein, muss sich aber auch die Kritik gefallen lassen, immer noch zu wenig für den Klimaschutz zu tun. Das bringt vor allem junge Menschen auf die Straßen. Viele überdenken ihr Konsumverhalten und fangen bei sich selbst an.
Das spürt auch der Online-Modehändler Zalando, der mit 1,5 Milliarden Euro Jahresumsatz (2019) wohl eines der wachstumsstärksten Unternehmen in Europa ist. Doch in Zeiten der Klimaproteste kommt auch ein Unternehmen wie Zalando nicht umhin, zu signalisieren, dass Wachstum nicht alles ist. Im Herbst 2019 kam daher die öffentliche Bekundung, „klimaneutral“ werden zu wollen. Man habe bereits an allen Unternehmensstandorten mehr als 90 Prozent der Stromversorgung auf erneuerbare Energien umgestellt, bis 2023 soll Einwegplastik in eigenen Verpackungen abgeschafft werden, berichtete damals der Tagesspiegel. Bereits aktuell sind Zalando-Kartons laut Unternehmensangaben zu 100 Prozent aus recycelten Materialien.
Green Pressure darf nicht zu Greenwashing führen.
Grundsätzlich gebe es für Unternehmen mit junger Zielgruppe auch keine andere Wahl, als die Vorreiterrolle einzunehmen, so die Einschätzung von Wissenschaftlern. Was sich aber genau hinter Begrifflichkeiten wie „klimaneutral“ versteckt, bleibt oft schwammig, denn die Bezeichnung ist rechtlich nicht geschützt. Somit sollten Konsumenten genau hinschauen, welche Leistungen ein Unternehmen wirklich für den Klimaschutz erbringt. Energieeffizienz oder Mindeststandards in der Lieferkette haben schon viele Unternehmen etwa in ihren freiwilligen Verpflichtungen zu mehr unternehmerischer Verantwortung (CSR – Corporate Social Responsibility) verankert. Diese Selbstverpflichtungen sind oft auf der Website insbesondere von großen Unternehmen zu finden.
Sorgt die Corona-Pandemie für einen Rückschritt bei Klimaschutz?
Eine ganz andere Gefahr zeigt sich durch die aktuellen Entwicklungen der Corona-Pandemie. Denn es gibt die Befürchtung, dass nun doch seitens der Politik wieder Wirtschaftsinteressen vor Klimaschutz gestellt werden. Doch es gibt auch Hoffnung, das sieht sogar der Umweltverband WWF so. „Kommende Generationen müssen den Wiederaufbau der Wirtschaft bezahlen, deswegen muss auch jeder Euro in ihre Zukunft einzahlen. Der Green Deal von Ursula von der Leyen ist ein echter Lichtblick angesichts der immer lauteren Kakofonie der Wirtschaftsinteressen“, sagt Christoph Heinrich, Vorstand Naturschutz beim WWF Deutschland. Die Maßnahmen der EU-Kommission müssten deshalb jetzt den sozialökologischen Umbau ins Zentrum stellen und dürfen die Klimakrise nicht weiter verschärfen. Den Beweis dafür ist die EU-Kommission bislang noch schuldig geblieben.
Die Entwicklung in den vergangenen Jahren hat gezeigt, dass Menschen Veränderungen zu mehr Klimaschutz herbeiführen können. Ob durch Proteste auf der Straße oder den Wandel im Konsumverhalten. Auch kleine Schritte führen zum Ziel. Doch wer genau hinsieht, wird erkennen, dass der Weg hin zur Klimaneutralität 2050 ein Weg von ständigem Wandel und neuen Herausforderungen sein wird.