
GREENDUSTRIAL REVOLUTION
GREENDUSTRIAL REVOLUTION
Wie deutsche Start-ups etablierten Industrien mit frischen Ideen dabei helfen, nachhaltig zu wirtschaften.
Im Sommer des vergangenen Jahres stand die Welt buchstäblich in Flammen. Während die verheerenden Brände im Amazonas-Regenwald in Südamerika noch auf Brandstiftung zurückzuführen sind, sieht es bei den zerstörerischen Bränden im Sommer 2019 in Australien schon ganz anders aus.
Hier zeigte eine Studie des internationalen Klimaforschungsprojekts World Weather Attribution, dass der Klimawandel zwar nicht ursächlich für den Ausbruch, dafür aber für die Stärke der Feuer war.
Eine von der deutschen Klimatologin und Geschäftsführerin des Environmental Change Institutes an der Universität Oxford, Dr. Friederike Otto, geleitete Studie kam zu dem Ergebnis, dass der vom Menschen verursachte Klimawandel die Wahrscheinlichkeit für extremes Brandwetter in Australien um mindestens 30 Prozent erhöht hat.
Und auch in Europa macht sich der Klimawandel bemerkbar. Der britische Wetterdienst Met Office prognostiziert, dass auch 2020 die Serie der heißesten Jahre seit Beginn der Wetteraufzeichnungen fortgesetzt wird. Es droht also der dritte Dürresommer in Folge.
Das Besondere: Die Forscher können die extremen Temperaturen in Europa direkt mit Klimawandel in Verbindung bringen. „Naturereignisse – wie die von El Niño verursachte Erwärmung im Pazifik – beeinflussen das Klimasystem, aber in Abwesenheit von El Niño gibt diese Prognose ein klares Bild über den stärksten Faktor, der einen Temperaturanstieg verursacht: die Treibhausgasemissionen“, kommentiert Professor Adam Scaife, Leiter der Langfristvorhersage beim Met Office, die Prognose seines Instituts.
Diese Beispiele zeigen, der Klimawandel ist keine abstrakte Bedrohung mehr. Er wird spürbar.
Höchste Zeit also, etwas zu ändern. Vor allem beim zweitgrößten Verursacher von CO2 in Deutschland: der Industrie. Die gute Nachricht: Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe von Start-ups in Deutschland, die Unternehmen dabei unterstützen, ihren CO2-Ausstoß merklich zu senken. Drei besonders spannende Start-ups haben wir uns angeschaut.
Elexon – angetreten, um den Wirtschaftsverkehr klimafreundlicher zu machen

elexon bündelt die Kompetenzen seiner Gründungspartner und kann so Unternehmen jeder Größe bedienen.
Firmenfahrzeuge und Güterverkehr haben einen signifikanten Anteil am Gesamt-CO2-Ausstoß durch Mobilität. Gerade in diesem Bereich kann jedes Unternehmen durch eine CO2-neutrale Elektroflotte einen Beitrag zum Klimaschutz leisten.
Leider wird es aber nicht ausreichen, einfach die gesamte Flotte auf Elektrofahrzeuge umzustellen. Denn für einen reibungslosen, CO2-neutralen und kostengünstigen Betrieb braucht es mehr als nur Fahrzeuge – etwa eine maßgeschneiderte, leistungsfähige Lade- und Energieinfrastruktur.
Ein Beispiel: Verwaltungsmitarbeiter nutzen Poolfahrzeuge für Termine außer Haus. In der Regel sind diese Fahrzeuge nur tagsüber und nur wenig im Einsatz. Hier reicht es aus, die Autos über Nacht mit relativ geringer Geschwindigkeit zu laden. Ganz anders sieht es aber bei den Fahrzeugen von Servicemitarbeitern aus. Diese müssen rund um die Uhr zur Verfügung stehen und schnell wieder einsatzfähig sein.
Dafür brauchen Firmen Ladesäulen, die zu ihren Fahrzeugen passen und sowohl langsames als auch schnelles Laden unterstützen. Sie brauchen ein Lademanagement, das die Energieströme zum Beispiel je nach Batteriestand und Restladedauer der einzelnen Fahrzeuge optimal steuert. Und sie brauchen ausgereifte PV-Systeme sowie Speicher- und Energiemanagementlösungen, um ihren Fuhrpark mit sauberer und kostengünstiger Energie zu betreiben.
Genau hier setzt das 2019 von AixControl, aixACCT charging solutions und SMA Solar Technology gegründete Joint Venture Elexon an. Elexon liefert schlüsselfertige Komplettlösungen für Elektromobilität. Angetrieben werden die Aachener dabei von einem klaren Ziel: „Mit unseren innovativen Ladelösungen treiben wir die Entwicklung voran und ermöglichen ein schnelles Wachstum der Elektromobilität“, sagt Dr. Stephan Tiedke, geschäftsführender Gesellschafter von aixACCT.
Elexon ist kein klassisches Garagen-Start-up, sondern bündelt die Kompetenzen seiner Gründungspartner und kann so Unternehmen jeder Größe bedienen. Die Ladeelektronik kommt von AixControl, aixACCT steuert seine Erfahrung in der Planung und Realisierung von Ladeinfrastrukturen sowie sein Servicenetz bei und SMA sorgt mit seinen Solarwechselrichtern, Speicherlösungen und der Erfahrung im Energiemanagement für ausreichend saubere und kostengünstige Energie.
Eine Kombination, die offenbar am Markt für Eindruck sorgt. Mittlerweile setzen große Player wie die Deutsche Post, DHL, Amazon oder Yamato Logistik aus Japan bei der Elektrifizierung ihrer Flotten bereits auf die Dienste von Elexon.

„Ich dachte einfach, warum nicht?“
Sunfire – der
Wunderstoff
aus CO₂
„Als ich das Konzept von Sunfire zum ersten Mal verstanden habe, dachte ich sofort: Das ist der Weg, wie wir die erneuerbaren Energien wirklich in jede einzelne Anwendung und in jedes Produkt bringen können.“
Wenn Carl Berninghausen, CEO von Sunfire, von seinen ersten Begegnungen mit dem Konzept hinter seinem Dresdner Start-up berichtet, beginnen seine Augen zu leuchten. Dann ist er für einen Moment nicht mehr der Chef eines mittlerweile 75 Personen starken Unternehmens. Dann ist er einfach nur Carl, der größte Fan einer Technologie, die das Potenzial hat, ein neues, ein grünes industrielles Zeitalter zu ermöglichen.

Carl Berninghausen
Sunfire kann in einem chemischen Prozess aus CO2, Wasser und regenerativer Energie sogenanntes E-Syngas herstellen. Und dieser Stoff hat es wirklich in sich. Denn aus E-Syngas kann alles entstehen, was heute aus fossilen Energieträgern produziert wird, nur eben CO2-neutral.
Zum Beispiel Benzin, Diesel oder Kerosin. Das Besondere: Weil diese Kraftstoffe chemisch deckungsgleich mit den konventionellen Kraftstoffen sind, können sie mit herkömmlichen PKW-, LKW-, Schiff- oder Flugzeugmotoren genutzt werden. Das ganz Besondere: Weil das CO2 in diesen Kraftstoffen zuvor der Luft entnommen wurde, verbrennen sie vollkommen CO2-neutral.
Die urplötzliche Lösung für alle Nachhaltigkeitsprobleme.
Gerade für die Schiff- und Luftfahrtindustrie, für die Elektronantriebe auch auf längere Sicht keine ökonomisch und technisch sinnvollen Alternativen sind, kann E-Syngas so etwas wie der Deus ex Machina sein. Die urplötzliche Lösung für alle Nachhaltigkeitsprobleme.
„Der Welt zu zeigen, wie wir ohne fossile Rohstoffe leben können, ist eine der Kernaufgaben unseres Unternehmens und eines der Hauptziele, für das wir unsere Produkte entwickeln“, sagt Nils Aldag, COO von Sunfire. Genau mit diesem großen Ziel hat er gerade alle Hände voll zu tun.
Denn das Konzept von Sunfire funktioniert zwar grundsätzlich, muss aber auch in einem großen Maßstab operationalisierbar gemacht werden. Eine Testanlage auf dem Firmengelände in Dresden kann im Moment gerade mal zehn Liter E-Benzin herstellen. Eine leistungsfähigere Anlage mit 200 Litern Produktionskapazität pro Tag ist schon geplant und eine nächste Stufe mit immerhin 2.000 Litern pro Tag wird derzeit konzipiert.
Diese Zahlen zeigen, so ganz allein wird Sunfire die Welt nicht retten können. Braucht es auch nicht. Denn Sunfire stellt vor allem die Technologie bereit. Nutzen können sie dann andere Unternehmen. Zum Beispiel der französische Ölkonzern Total, der seit dem vergangenen Jahr mit den Dresdnern kooperiert und die Technologie gerade in seinem Werk in Leuna erprobt. Dort will Total in den nächsten drei Jahren immerhin 500 Tonnen künstliches, CO2-neutrales Methanol aus E-Syngas statt aus Erdgas produzieren, um daraus zum Beispiel Kraftstoffzusätze herzustellen.
Noch weiter geht Nordic Blue Crude, ein norwegisches Unternehmen, das mit der Sunfire-Technologie täglich 25.000 Liter synthetisches Rohöl produzieren will, das dann sowohl für die Herstellung von CO2-neutralen Kraftstoffen als auch für CO2-neutrale chemische Grundprodukte genutzt werden soll.
So langsam versteht man, warum Sunfire 2017 von der amerikanischen Cleantech Group zu einem der wichtigsten Cleantech-Unternehmen der Welt erklärt wurde. Und ganz sicher versteht man das Leuchten in den Augen von Carl Berninghausen.
50zero – The Wolfs of E-Street

Auch 50zero, das dritte in diesem Artikel vorgestellte Start-up, ist angetreten, um mit seiner Idee das Klima zu schützen. Und doch ist es ganz anders als Elexon und Sunfire. Denn anstatt eine Technologie zu entwickeln, die es Unternehmen einfacher macht, CO2 zu vermeiden, will es 50zero großen, energieintensiven Unternehmen möglichst schwer machen, CO2 auszustoßen.
Das Vehikel, das 50zero dafür nutzt: eine Besonderheit im europäischen Emissionshandel. Denn daran darf jeder, wirklich jeder teilnehmen. Sogar Privatpersonen. Etwas, was bislang kaum jemand weiß.
Einer, der es wusste, ist Friedrich Arnold, Mitgründer des Berliner Klimaschutz-Start-ups. Und das, was er mit 50zero macht, kann man entweder als Systemhack des Emissionshandels bezeichnen oder als Eulenspiegel’sche Genialität. Je nachdem, welcher Humor einem mehr liegt. 50zero kauft im Auftrag von Privatpersonen oder Unternehmen Emissionsrechte für CO2 – und lässt sie ungenutzt verfallen. De facto kann dadurch also jeder mit 50zero seine Emissionen kompensieren und gleichzeitig dafür sorgen, dass energieintensive europäische Unternehmen mehr in Energieeffizienz investieren müssen.
50zero, und auch das ist eine Besonderheit, tritt nicht an, um Gewinn zu erwirtschaften. Von den gezahlten Beiträgen fließen 90 Prozent vor Mehrwertsteuer in den Kauf von Zertifikaten. Mit den verbleibenden zehn Prozent deckt 50zero seine Kosten.
Was Arnold dabei antreibt, hat mit seiner beruflichen Vergangenheit zu tun: „Ich war in meinem vorherigen Job Unternehmensberater und bin dabei viel um die Welt geflogen.
„Innerhalb von drei Jahren war ich bestimmt 500-mal im Flugzeug. Bei so einem Lifestyle stellt man sich dann schon irgendwann die Frage, ob das alles so Sinn macht und nachhaltig ist.“

Also hat sich Arnold, der von Haus aus Ingenieur ist, mit dem europäischen Emissionshandel auseinandergesetzt und eine „Schwachstelle“ im System gefunden, mit der er das System nutzen kann, um einen europäischen Wandel zu mehr Nachhaltigkeit in Europas Industrien zu erzwingen.
Um zu verstehen, wie 50zero wirkt, muss man verstehen, wie der europäische Emissionshandel funktioniert. Seit 2005 müssen sich besonders energieintensive Unternehmen in der EU Jahr für Jahr das Recht einkaufen, CO2 ausstoßen zu dürfen. Die Gesamtmenge von CO2-Emissionen, die gekauft werden können, sinkt dabei von Jahr zu Jahr – so will die EU den Emissionshandel als Lenkungsinstrument für mehr Klimaschutz nutzen. Diese Rechte können über Emissionszertifikate an spezialisierten Handelsplätzen ge- und verkauft werden. Und zwar von jedem. Der wichtigste Handelsplatz für diese Zertifikate ist die Energy Exchange (EEX) in Leipzig, ein Unternehmen der Deutsche Börse Group.
Die EEX ist also praktisch die Wallstreet für Emissionszertifikate, die E-Street.
Und Friedrich Arnold ist ihr Wolf. Denn die Zertifikate, die er mit 50zero kauft, verschwinden vom Markt. Das Angebot wird also kleiner und dadurch steigt der Preis für die verbliebenen Zertifikate. Je mehr Leute mitmachen, umso weniger Zertifikate sind am Markt und umso stärker steigt der Preis.
Aktuell steht der Preis für eine Tonne CO2 bei ca. 21 Euro – noch nicht ganz da, wo 50zero hinwill. „Irgendwo zwischen 30 und 40 Euro pro Tonne CO2 wird es unrentabel, ein Kohlekraftwerk zu betreiben. Wir können es mit unserer Community und der Kraft des Marktes schaffen, dass Kohlekraftwerke vom Netz gehen. Das ist so ein bisschen unsere Hidden Agenda“, sagt Arnold und lächelt dabei verschmitzt. Und irgendwie kann man nicht anders, als mitzulächeln.
Ideen aus Deutschland sorgen weltweit für mehr Nachhaltigkeit

Die Beispiele zeigen, die Greendustrial Revolution läuft bereits – und Deutschland ist ganz vorne mit dabei. Auch und gerade international. Denn 2018 hatten deutsche Green-Tech-Unternehmen einen Anteil am Weltmarkt für grüne Produkte, Verfahren und Dienstleistungen von 14 Prozent, so eine Studie des Bundesumweltministeriums. Und dieser Markt ist nicht gerade klein. Auf gut 5.900 Milliarden Euro Umsatzvolumen soll der globale Markt für Green Tech bis 2025 steigen. Gute Aussichten also. Für die Wirtschaft und die Natur.