Ein Gespräch mit Matthias Horx über die „Zeiten mit Corona“ und die Auswirkungen auf die Energiewende
„Afrika prägt
mich bis heute“

Ein Gespräch mit Jürgen Reinert. Über die Herausforderungen als CEO eines globalen Solarunternehmens – und seine Kindheit in Namibia.

Jürgen Reinert

Text: Angelika Brandt
Fotos: Archiv

Die meisten kennen Jürgen Reinert als technikbegeisterten Verfechter der Energiewende und CEO von SMA Solar Technology, globaler Anbieter von Photovoltaik-Systemtechnik. Nur wenige wissen, dass er in Namibia aufwuchs und viel Zeit auf der Familienfarm ohne Stromanschluss und fließendes Wasser verbrachte – ein Fußballer und Schwimmer auf Profiniveau, der erst mit 15 Jahren seine erste Cola trank und Nelson Mandela als Speaker an seine Uni holte. Hier erzählt Jürgen Reinert, wie ihn seine Jugend in Afrika bis heute prägt und weshalb es echte Nachhaltigkeit braucht, um sich als Solarunternehmen am Markt zu behaupten.

Eigentlich hatte er nie geplant, länger in Deutschland zu bleiben. 1968 in Namibia geboren, verbrachte Jürgen Reinert oft Monate auf der Farm seiner Großeltern im Norden des Landes bei Grootfontein. „Mit 14 habe ich den Betrieb manchmal ganz allein geführt. Ich habe Fahrräder, Autos und alle möglichen stationären Motoren repariert, etwa den Windradantrieb unseres Brunnens“, erinnert er sich. „Schon aus ganz praktischen Gründen war das Interesse an Technik damals weit verbreitet in Namibia.“ Auch für Umweltthemen interessierte sich Jürgen Reinert schon früh – nicht nur weil ihn die Natur seines Heimatlandes faszinierte, sondern auch weil er dort schon als Kind lernte, dass Ressourcen nicht unbegrenzt sind.

„Ich bin nicht im Überfluss aufgewachsen“, stellt er ganz sachlich fest. Obwohl sein Vater das größte Zementunternehmen Namibias leitete und die Mutter eine eigene kleine Stempelfabrik, ging es bei den Reinerts eher spartanisch zu. „Als Kinder sammelten wir Plastiktüten, gaben sie an die Geschäfte zurück und erhielten im Gegenzug Schokolade“, erinnert sich Jürgen Reinert. Mit 15 trank er seine erste Cola, und erst 1984, als er 16 Jahre alt war, schaffte die Familie den ersten Fernseher an. Eine Kindheit und Jugend, die wohl in vieler Hinsicht anders verlaufen wäre, wenn die Familie in der Bundesrepublik gelebt hätte.

Während der Schulzeit in Windhoek entdeckte Jürgen Reinert sein Herz für den Sport. Beim Schwimmen und Fußball erwarb er sich nach eigenen Aussagen ein Durchhaltevermögen, das ihm auch heute noch, als Chef von rund 3.000 Mitarbeitern in 18 Ländern, zugutekommt. „Einmal spielte ich sogar in der Jugendfußballnationalmannschaft“, erinnert er sich. Im Schwimmen war er zeitweilig schneller als die damals weltbeste Frau. „Aber an eine Franzi van Almsick hätte ich später nie herangereicht“, räumt Jürgen Reinert ein. Noch während der Apartheid begann er sein Elektrotechnikstudium im südafrikanischen Pretoria.

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Dass er sich vehement für gleiche Bezahlung von Schwarzen und Weißen an der konservativen Hochschule einsetzte, kostete ihn fast den Studienplatz. Anfang der neunziger Jahre, kurz nach der politischen Wende in Südafrika, erreichten er und seine damalige Partnerin, dass Nelson Mandela als Redner an die Universität eingeladen wurde. Bis heute zählt Mandela, „ein Mensch vom alten Schlag, der unglaublich tolerant und offen war“, zu Jürgen Reinerts prägendsten Vorbildern.

Zur selben Zeit wie er studierte auch der drei Jahre jüngere Elon Musk für einige Monate an der Universität Pretoria. Obwohl sich die beiden Männer nie persönlich begegneten, wurde der Tesla-Chef ein weiteres Vorbild für Jürgen Reinert. „Deutschland hat entscheidende Entwicklungen in der Elektromobilität verschlafen. Musk hat sich über alle Einwände hinweggesetzt und ist damit sehr erfolgreich.“ Auch Jürgen Reinert war von Anfang an ein glühender Verfechter der Elektromobilität. Die Themen E-Mobilität, erneuerbare Energien und Antriebstechnik ziehen sich wie ein roter Faden durch sein Studium und Arbeitsleben. Nach sieben Jahren an der RWTH Aachen, drei davon als Oberingenieur im Bereich Elektrofahrzeuge, arbeitete er zwölf Jahre lang in Helsingborg beim schwedischen Antriebstechnikhersteller Emotron, zuletzt als Technischer Geschäftsführer.

„Technik und Nachhaltigkeit in sinnvollen Einklang mit Komfort bringen“

Die Energiewende hält Jürgen Reinert nicht nur für unbedingt notwendig, sondern auch für machbar: „Das ist eine kolossale Chance, denn Photovoltaik ist nicht nur klimafreundlich, sondern auch nachweislich kostengünstiger als fossile Energieträger. Und wir haben alles, um den Umstieg schnell zu gestalten.“ Als Beispiel nennt er das dänische Unternehmen Dong Energy (heute: Ørsted), das in nur acht Jahren vom Kohlebetrieb auf erneuerbare Energien umgestellt hat. Zuhause gehören die Photovoltaikanlage mit Ost-West-Ausrichtung, ergänzt durch einen Speicher, ebenso zum nachhaltig-komfortablen Lebensstil der Familie Reinert, wie das Elektroauto. „Mein Ziel ist es, Technik und Nachhaltigkeit in sinnvollen Einklang mit Leben und Komfort zu bringen“, sagt er. „Flugscham ist nicht meins, aber ich würde auch nicht übers Wochenende nach Mallorca fliegen.“ Alle zwei Jahre mit seiner Frau und den vier Kindern (19, 18, 16 und 4) Weihnachten mit seiner Familie in Namibia zu feiern, ist ihm dagegen sehr wichtig.

Das Leben in Afrika hat Jürgen Reinert nachhaltig beeinflusst: „Auch jetzt schlafe ich im Urlaub am liebsten unter freiem Himmel statt im Vier-Sterne-Hotel.“ Seine Frau, in der Schweiz geboren und Biologin, ist ähnlich naturverbunden. Mit seinem ältesten Sohn ist er letztes Jahr in Namibia gewandert – selbstredend ohne Zelt, mit den beiden großen Töchtern hat er das Himalaya-Gebirge bereist.

Erinnerungen an Namibia

Genauso wie die Natur fasziniert ihn die Technik. Während seiner Zeit an der RWTH Aachen hat er durch die Zusammenarbeit an Elektrofahrzeugen viele große internationale Automobilmarken im Live-Betrieb kennengelernt. „Wenn ich in Namibia bin, halte ich bei jeder Photovoltaikanlage an und schaue mir die Technik und die Umrichter dort genau an.“ Aber ein technischer Manager zu sein, reicht ihm nicht aus. „Es ist ein großer Vorteil, dass ich technisch argumentieren kann, doch der kommerzielle Aspekt ist mindestens genauso wichtig – für SMA wie für unsere Kunden.“ Sie erhielten von SMA zwar nicht die kostengünstigsten Produkte, dafür aber die langlebigsten: „Der Anschaffungspreis unserer Produkte mag zunächst etwas höher sein, langfristig rechnet sich dies dann aber umso mehr, da sie durch eine Designreserve für eine hohe Lebensdauer ausgelegt sind.“ Die hohe Produktlebensdauer sei Teil der langfristigen Nachhaltigkeitsstrategie von SMA. Kein bloßes Lippenbekenntnis wie bei manch anderem Anbieter, sondern gelebte Überzeugung, die sich durch alle Unternehmensbereiche und die gesamte Wertschöpfungskette ziehe. Echte Nachhaltigkeit, fährt er fort, beginne bereits bei der Rohstoffgewinnung. „Als Hersteller von Lösungen zur Erzeugung von erneuerbaren Energien kann es uns nicht egal sein, wie wir unsere Produkte fertigen. Wir müssen mit gutem Beispiel vorangehen.“

Die PV-Industrie begeistert Jürgen Reinert: „Wir sind keine Branche mehr, die von der Politik gehätschelt wird.“. Es gäbe keine Bevorzugung mehr, die Hürden würden größer, man müsse sehr stark auf die Kosten achten. „Unsere Branche hat gelernt, zu wirtschaften.“ Dass sich SMA als einziges großes deutsches Solarunternehmen am Markt halten konnte, war mit schmerzhaften Einschnitten verbunden. 2015 hat das Unternehmen seine Mitarbeiterzahl um 35 Prozent reduzieren müssen. Geholfen hat da klare, offene Kommunikation. „Wir haben ganz ehrlich gesagt, wie schlecht es dem Unternehmen ging“, sagt Reinert. Dank schlanker Fixkostenstruktur und besserer Kapazitätsauslastung konnte SMA ihren Output – oder um es mit der Photovoltaik zu sagen: ihren Wirkungsgrad – verfünffachen. „Unsere Firma ist resilient geworden“, stellt er fest.

Anders als die deutschen Automobilkonzerne hat sich SMA in der Corona-Krise gegen Kurzarbeit entschieden. „Wir produzieren weiter, das ist unsere beste Chance, um nicht Marktanteile gegen chinesische Unternehmen zu verlieren. Die Lieferkette können wir erfolgreich managen“, sagt Jürgen Reinert. Davon, dass SMA trotz der Pandemie die diesjährigen Umsatzziele erreicht, ist er überzeugt. Der European Green Deal ist ein Lichtblick für die Energiewende, und in der EU wird der Solarausbau wahrscheinlich deutlich zunehmen. Dennoch wird die Situation auch nach der Krise wohl noch eine Weile herausfordernd bleiben, sodass das Unternehmen seine Zahlen auch künftig gut im Blick behalten muss.

Und wie sieht es mit der persönlichen Resilienz aus? Natürlich sei es eine herausfordernde Aufgabe, ein großes Solarunternehmen zu leiten und die Energiewende mit zu gestalten, erklärt er, doch gerade das motiviere ihn. „Afrika war da eine gute Schule. Ich beziehe meine Energie daraus, meinen Werten und Überzeugungen treu zu bleiben – was in meiner Tätigkeit bei SMA sehr gut gelingt.“ Seine Hobbies, wie den Sport oder das Singen in der Band muss er angesichts der Fülle der Termine zwar etwas zurückstellen, aber Zeit für die Familie nimmt sich Jürgen Reinert nach wie vor. Irgendwann einmal – da ist er sich ganz sicher – will er gemeinsam mit seiner Frau zurück nach Namibia ziehen. Still zu sitzen wird aber auch dann keine Option für ihn sein.

„Meinen Werten und Überzeugungen treu zu bleiben, gibt mir Energie“

Jürgen Reinert

Auf nachhaltige Technologien setzt Jürgen Reinert seit seinem Studium der Elektrotechnik in Südafrika. Er promovierte am Institut für Stromrichtertechnik und Elektrische Antriebe der RWTH Aachen und widmete sich von 1999 bis 2011 als Geschäftsführer bei der Emotron AB in Schweden der Entwicklung von Elektroantrieben. Nach über zehn Jahren verlagerte er seinen Lebensmittelpunkt von Schweden nach Deutschland und verantwortet seit 2011 bei SMA unter anderem die nachhaltige Entwicklung zum Lösungsanbieter. Jürgen Reinert ist seit 2014 Vorstandsmitglied der SMA, im Oktober 2018 wurde er zum Vorstandssprecher bestellt. SMA steht für eine dezentrale und erneuerbare Energieversorgung. Das Portfolio umfasst ein breites Spektrum an effizienten Solar-Wechselrichtern und Systemlösungen für Photovoltaikanlagen aller Leistungsklassen.

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